Zwar läuft die neue Saison schon, aber die taktischen Meisterleistungen des 1.FC Magdeburg in der vergangenen Spielzeit werden von uns nicht vergessen. Wie war die Ausgangslage? Was war vom Gegner zu erwarten? Wie reagierte Trainer Jens Härtel auf verschiedene Spielsituationen? Die Erklärungen gibt es in unserer neuen Reihe “Taktik-Highlights”. In der dritten Folge hat der FCM kaum Ballbesitz, gewinnt aber dennoch am 16. Spieltag mit 3:0 gegen Preußen Münster.
Die Ausgangslage: Magdeburg kommt zwar mit einer Niederlage in Dresden wieder nach Hause, aber die taktische Ausrichtung des 5-4-1 war eine gute Option gegen spielstarke Teams wie Dresden oder – zu diesem Zeitpunkt der Saison – Münster. Im Vergleich zum Spiel gegen Dynamo stellt Härtel Puttkammer in die Startformation und schiebt dadurch Malone in die mittlere Innenverteidigerposition. Statt Chahed spielt Fuchs im flachen 5-4-1 auf Rechtsaußen. Wieder eine zentrale, defensive Grundordnung mit Beck als Anspielstation ganz vorne. Der Trainer selbst ist sich bewusst, dass sein Spielsystem nicht gerade attraktiv ist. Bei einer Pressekonferenz während der Saison sagte Härtel: „Manchmal spielen wir den Ball hoch und weit auf Christian. Ich weiß, dass das nicht immer schön ist, aber wir müssen das machen.“
Die Aufstellung: Glinker – Altiparmak, Puttkammer, Malone, Handke, Butzen – Farrona Pulido, Brandt, Sowislo, Fuchs – Beck
Der Gegner: Nach 15 Spielen ist Preußen Münster überraschend Zweiter der dritten Liga. Zwar schafft es die Mannschaft von Ralf Loose in der Folge nicht die Platzierung zu halten – Münster schließt auf Platz neun ab – aber zum Beginn der Saison sind die Westfalen vor allem Auswärts eine Bank. Die „Auswärtskönige“ haben bis dato drei Spiele in der Ferne gewonnen, zwei Unentschieden auf fremdem Platz erkämpft und stehen auf Platz drei der Auswärtstabelle. Coach Loose, der schlussendlich nach dem endgültigen Absturz am 21. Spieltag gehen muss, spielt meist mit 4-2-3-1. Am Spieltag zuvor gelingt mit derselben Startelf ein 2:0 gegen Kiel. Kein Grund zur Veränderung also für den Fußballlehrer, der seine Mannschaft sowohl in der Heimat als auch auswärts offensiv und auf Ballbesitz spielen lässt.
Die Aufstellung: Lomb – Müller, Heltmeier, Pischhorn, Kopplin – Wiebe, Schwarz – Kara, Bischoff, Hoffmann – Reichwein
Der Spielverlauf: Die ersten Minuten sind hektisch und spielen sich in den zwei hinteren Dritteln der beiden Mannschaften ab. Somit wenig Mittelfeld und geordneter Spielaufbau, sondern kleine Fehler und lange Bälle. Das rückt beide Torhüter schnell ins Geschehen. Glinker lässt einmal schwach nach vorne abprallen, schafft es aber Sekunden später beim Nachschuss den Fehler wieder auszubügeln. Auch Gegenüber Lomb leistet sich ungewohnte Schwächen – hat er zu jenem Zeitpunkt nur 12 Mal (Topwert unter den Aufstiegsanwärtern) hinter sich greifen müssen. Schiedsrichter Matthias Jöllenbeck, der lediglich 19 Einsätze in der dritten Liga hat und noch relativ unerfahren ist, wertet die strittige Situation für den Torhüter. Es gibt nur Gelb und Freistoß für den FCM. Kommt der Pfiff Augenblicke später heißt es wohl Rot und Elfmeter. Zwar führt die Gelegenheit nicht zur ersten Großchance für die Gastgeber, dennoch geht der FCM in den Folgeminuten in Führung. Sowislo und Altiparmak schieben sich den Ball auf der linken Seite zu. Der Kapitän nimmt den Kopf hoch und spielt einen langen Ball auf Beck. Der Stürmer profitiert vom „Stellungsfehler von Heitmeier“ (Zitat WDR-Kommentator, dem man seinen Arbeitgeber in manchen Spielsituationen doch deutlich anhören kann) und platziert den Ball in die lange Ecke. In der Entstehung sind vier Gegenspieler, die für Münster ballnahe die Passwege zupressen, am Ende zu weit weg von Sowislo. Am langen Pass kann ihn keiner hindern und Stürmer Beck gewinnt das Laufduell durch seine Schnelligkeit und die bessere Ballorientierung. Heitmeier kommt zwar zu spät, aber Grundvoraussetzung ist, dass der andere Gästeinnenverteidiger, Pischhorn, das Abseits aufhebt und damit Beck überhaupt regulär anspielbar macht.
FCM macht Zentrum dicht – bei Kontern dennoch anfällig
Münster versucht es weiter mit schnellem Umschaltspiel und kommt über die Außen zu Flanken, die aber keine Gefahr bringen. Härtels Doppelsechs mit Brandt und Sowislo ist überaus effektiv und die Überzahl im Zentrum macht vor allem Linksaußen Kara zu schaffen. Der zieht ein ums andere Mal nach innen und verliert den Ball, weil Anspielstationen zugestellt sind. Brandt und Sowislo greifen zu und das Spielgerät ab. In der 19. Minute ist der Gastgeber im Glück, als Reichwein eine 100%ige Torchance nicht nutzen kann. Rechtsaußen Hoffmann sieht sich Malone gegenüber und kommt zur Grundlinie durch. Die Schnelligkeitsprobleme des Amerikaners, der außen aushelfen muss, sind mal wieder Grund für Gefahr. Hoffmann legt zurück und Reichwein hat mehr Platz als beim Training, kann den Ball aber nicht unterbringen. Magdeburg ist in dieser Umschaltsituation anfällig, weil ungeordnet. Malone, der eigentlich mittig spielen sollte, muss in der Rückwärtsbewegung außen in den Zweikampf. Somit stehen in der Mitte drei gegen zwei und keiner findet „seinen“ Mann. Dann endet das Vorspiel von Malone jedoch durch Verletzung. Insbesondere seine Einwürfe, die mit dem Kontext der abgelaufenen EM Island-Charakter haben, waren zusammen mit seiner guten Athletik eine Bereicherung für den FCM. Chahed kommt für ihn und das bedeutet eine taktische Umstellung.
Kara als Unglücksrabe und der Ballbesitzfußball mit 0:2 zurück
Pulido und Chahed bekleiden nun die Außen. Fuchs rückt in die Mitte. Altiparmak also mit weniger Freiheiten nach vorne und links hinten mit defensiverer Einstellung als noch Minuten vorher. Das System ähnelt eher dem 4-2-3-1, das Härtel als Grundordnung in der Zeit vor den Umstellungen Anfang Oktober gespielt hat. Die Gastgeber bleiben ihrer Linie dennoch treu und spielen mit dem 1:0 im Rücken tief. Anfang des hinteren Drittels wird gepresst beziehungsweise gedoppelt. Dann geht es vorzugsweise schnell nach vorne, wenn sich nur der Hauch einer Konterchance bietet. Chancen dazu bieten sich einige, da der Plan, Kara immer bei Ballbesitz und inverser Bewegung nach Innen in der Magdeburger Hälfte unter Druck zu setzten, den Türken überfordert und zu Fehlern zwingt. Preußen hat zwischen der 20. und 40. Minute mehr Ballbesitz, aber durch die Spielanlage der Magdeburger sind die Gäste zu langen Bällen oder Angriffe über die Außen gezwungen. Die vorausgesagte spielerische Klasse fehlt, um die Doppelsechs und das Zentrum des FCM zu überwinden. Ins hintere Drittel kommen die Gäste ohne große Gegenwehr, aber dann fehlt Platz und Raum für Kombinationen, weil die Magdeburger überragend ballorientiert pressen.
Kurz vor der Pause macht Kara das schlechteste Spiel seiner Saison komplett. Ein Fehlpass bringt die Hausherren in Ballbesitz und Beck überwindet danach mit einem Dribbling 40 Meter. In Münsters Strafraum behauptet Fuchs den Ball. Die Münsteraner kommen zwar schnell genug zurück, aber Fuchs lässt zwei Mann im Eins-gegen-Eins stehen und versenkt ins lange, linke Eck. Man könnte jetzt „schmeichelhaft“ sagen oder „nach taktischen Möglichkeiten das beste gemacht“. Hinten steht der FCM sicher und profitiert von der Konterstärke der Angreifer. Beck hat viele Meter Gras vor sich und im Kuddelmuddel des Strafraums bleibt Fuchs eiskalt.
Münster unkreativ – FCM tief und sicher
Nach dem Seitenwechsel sehen die knapp 16.000 Zuschauer das gleiche Bild wie zuvor. Münster drückt die Gastgeber in ihre eigene Hälfte und bis auf einige wenige falsche Pressingmomente von Beck und Fuchs, lässt Magdeburg die Gäste spielen. Wie schon erwähnt, wird im letzten Drittel des Spielfeldes der Ballführer gedoppelt und zum Quer- oder Rückpass gezwungen. Auf der gegenüberliegenden Seite wäre somit viel Platz, aber zum einen sind die Westfalen zu langsam in der Verlagerung und zum anderen verschieben die Blau-Weißen sehr gut. Das Gegenpressing der Münsteraner funktioniert zwar und bedeutet schnelles Zurückerobern des Spielgeräts. Gefährlich wird es zwischen Minute 46 und Minute 64 dennoch nicht. Hoffmann schießt mal aufs Tor – Glinker darf danach den Ball suchen. Auf der anderen Seite befreit sich der FCM durch Standards, die aber ebenfalls unbelohnt bleiben.
Die erste Auswechslung der Gäste kommt kurz vor dem Schuss von Hoffmann. Trainer Loose nimmt einen seiner Sechser (Wiebe) runter und bringt mit Özkara einen nominellen Stürmer, also eine weitere Offensivkraft. Kara muss nun auf die 10 und hinter Reichwein gegen das Magdeburger Zentrumsbollwerk arbeiten. Der direkte Gegenzug offenbar sofort die Lücke, die sich nach einer solchen taktischen Umstellung in der Hintermannschaft finden lässt. Ohne den nominellen defensiven Wiebe nimmt kein Münsteraner Mittelfeldspieler Farrona-Pulido auf. Der marschiert wie sein Vorbild Sergio Agüero einmal quer durch die gesamte Hälfte der Gäste und knallt den Linksschuss an die Latte. Ein Ausrufezeichen und weiteres Indiz dafür, dass der FCM zwar nicht das Spiel dominiert, aber die klareren Chancen herausspielt.
Ein Zerstörer gegen neue Lungen
Härtel spielt seine zweite Auswechslung mit dem 2:0 im Rücken in die genau entgegengesetzte Richtung wie sein Kontrahent auf der gegnerischen Trainerbank. Für Fuchs kommt knappe 20 Minuten vor Schluss Löhmannsröben, vom WDR-Kommentator als „Zerstörer“ beschrieben. Währenddessen macht Loose in Minute 72 zwei positionsgetreue Wechsel (RV: Tritz für Kopplin, MS: Krohne für Reichwein) und hofft durch neue Laufkraft auf den Anschlusstreffer. Magdeburg kann sich in der Folge vor allem durch die punktgenauen Läufe von Pulido, der sowohl links als auch rechts nicht zu stoppen ist, befreien. In der Defensive zerstört nun Löhmannsröben vor der Abwehr die Angriffe im Zentrum, während Brandt und Sowislo gegen den Ball pressen.
Keine Schwächen gegen Ende und kein Jubel beim 3:0
Trainer Härtel schaut von Minute 72 an überraschend oft auf die Uhr. Dabei schafft es seine Mannschaft an diesem Spieltag die Partie souverän zu Ende zu spielen. Erst bei den nächsten Ansetzungen (0:1 in Asbach, 2:2 gegen den VfB 2 und 1:1 in Würzburg) bringt sein Team das Konzept in den Schlusssekunden nicht durch. Am Samstag, den 07. November, macht der Kapitän in der 81. Minute endgültig den Deckel drauf. Eine Wechselpasskombination lässt die Nummer 17 alleine auf Keeper Lomb zulaufen. Sowislo umkurvt den gebürtigen Kölner lässig und schiebt zum Endstand ein. Puttkammer köpft in Höhe der Mittellinie kurz auf Hebisch (Einwechselung für Beck in Minute 78), der kurz auf Brandt zurückspielt. Brandt spielt direkt, lang und tödlich über vier bis fünf Münsteraner. 3:0 und kein Jubel vom Ex-Preußenspieler bei seinem vierten Saisontor. Die letzten zehn Minuten ist die Stimmung bombastisch und Münster verliert in Magdeburg das erste Auswärtsspiel der Saison.
Das Fazit: Man braucht keinen Ballbesitz, um ein Spiel zu bestimmen. Das Spiel Magdeburg gegen Münster ist dafür ein Musterbeispiel. Durch den frühen Treffer muss der Gast das Spiel machen. Es geht allerdings nur über die Außen, weil die Doppelsechs der Hausherren das Zentrum überladen kann. Einleiten dürfen die Preußen das Spiel zwar, aber wenn der FCM anfängt den Ball zu attackieren, bleibt ein ums andere Mal entweder ein Rückpass oder ein Ballverlust für die Münsteraner übrig. In der Offensive spielt die Härtel-Elf gradlinig und vertraut auf schnelles Umschaltspiel, welches auch das 2:0 nach sich zieht. In Halbzeit zwei das gleiche Bild: Die Gäste rennen an, treffen nicht und der FCM fährt gefährliche Konter. Sowislo macht gegen seine hochstehenden Ex-Kameraden den Deckel schlussendlich drauf.
elbsport.com / Johannes Sill
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