Taktik-Highlights #4 – Frühe Tore besiegen Erfurt und den Fluch

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Zwar läuft die neue Saison schon, aber die taktischen Meisterleistungen des 1.FC Magdeburg in der vergangenen Spielzeit werden von uns nicht vergessen. Wie war die Ausgangslage? Was war vom Gegner zu erwarten? Wie reagierte Trainer Jens Härtel auf verschiedene Spielsituationen? Die Erklärungen gibt es in unserer neuen Reihe “Taktik-Highlights”. In der vierten Folge spielen die Blau-Weißen am 20. Spieltag mit ungewohnt viel Ballbesitz. Damit und durch hartes Pressing gelingt ein 2:0-Erfolg gegen überforderte Erfurter Gastgeber. 

Die Ausgangslage: Drei Spiele in Folge kommt der FCM in den Schlussminuten unter die Räder und verliert wichtige Punkte im Kampf um einen kaum erwarteten Aufstiegsplatz. Gegen Würzburg ging in Minute 88 der Sieg verloren. Davor gab es gegen Stuttgart 2 ebenfalls eine unglückliche Punkteteilung. Gegen Großaspach musste man hingegen ohne Punkte den Heimweg antreten. Nachdem es Trainer Jens Härtel mit nominell fünf Verteidigern versucht hatte (Dresden, Münster, Aspach) spielt er gegen Würzburg 4-4-2 und bleibt dieser Linie auch in Erfurt treu. Lars Fuchs soll Beck vorne mehr unterstützen und offensive Akzente setzten. Mit dem „Fuchser“ steht und fällt die Grundordnung. Da die Nummer 7 sowohl offensives Mittelfeld bespielen als auch vorne stürmen kann, interpretiert sich das FCM-System mit vier Verteidigern, zwei Sechsern und vier Offensiven um Fuchs herum. Ob 4-2-3-1 oder 4-4-2 ist da zumeist Ansichtssache und von Situation zu Situation unterschiedlich. Der Spielbericht führt Fuchs in diesem Spiel als Stürmer, wir gehen aber für unseren Bericht von Fuchs als hybriden Mittelfeldspieler mit Zug nach vorne aus.

Die Aufstellung: Glinker – Hainault, Handke, Puttkammer, Butzen – Chahed, Brandt, Sowislo, Razeek, Fuchs – Beck

Der Gegner: Erfurts Saison ist das Beispiel für Höhen und Tiefen. Nach schlechtem Start in die Spielzeit fängt sich die Elf von Christian Preußer, der immer mit einer Doppelsechs und Viererkette spielt. Am 11. Spieltag sind die Erfurter im Tabellenmittelfeld zu finden. Konstanz ist aber nicht das Stichwort für die Thüringer in 2015/16. Gegen Cottbus und Kiel gibt es vor Beginn der Rückrunde zwei Niederlagen und der Stuhl von Preußer wackelt erheblich. Nach der erneuten Niederlage muss der Trainer gehen. Sein Co-Trainer Norman Loose füllt die Position des Chefstrainers nur ein Spiel gegen Wehen Wiesbaden aus und muss den Verein nach der Niederlage gegen die Hessen auch verlassen.  Nach der Winterpause ist ein neuer Verantwortlicher gefunden und der debütiert sagenhaft mit einem 3:2-Sieg gegen Dynamo Dresden. Stefan Krämer holt die Thüringer aus dem Abstiegskampf und beendet die Saison auf Platz acht. Ein versöhnliches Ende, könnte man meinen. Aber im Finale des Thüringenpokals setzt es eine peinliche 0:2-Schlappe gegen Jena und das Auf und Ab der Erfurter Saison endet mit negativer Note und ohne Erreichen der 1. Runde des DFB-Pokals. Davon sind die Thüringer am 20. Spieltag gegen den 1. FC Magdeburg aber noch weit entfernt.

Die Aufstellung: Domaschke – Hergesell, Erb, Laurito, Judt – Menz, Nikolaou – Aydin, Tyrala, Pigl – Szimayer

Der Spielverlauf: Der FCM steht zwar als Auswärtsmannschaft auf dem Papier, aber die ersten Minuten der Partie spielt das Härtel-Team explosives Pressing im Mittelfeld beziehungsweise Gegenpressing bei Ballverlust. Ausnahmsweise sind es also die Magdeburger, die aus der verschobenen Viererkette heraus mit mehr Ballbesitz agieren und organisieren müssen. Handke und Puttkammer bauen zusammen mit den Sechsern bei wenig gegenerischen Druck in der Anfangsphase das Spiel zu Beginn des zweiten Drittels auf. Die Gastgeber spielen mit zwei Offensiven direkt gegen den Ball, halten aber Zweikämpfe mehr im Zentrum und geben vor allem Butzen auf Rechtsaußen viel Platz nach vorne. Nach vier Minuten ist es aber ganz hinten Jan Glinker, der als erster FCM-Spieler Schwächen unter dem „False Pressing“ zeigt. Mit Glück landet der Ball haarscharf in den Füßen eines Teamkollegen. Fuchs orientiert sich zu Beginn auf links und rechts schiebt sich Butzen ins Mittelfeld, da der FCM das Spiel absichtlich über die linke Außenbahn laufen lässt. Von dort kommt auch die erste Flanke des Spiels. Butzen ist die Anspielstation, was zeigt, wie weit der Außenverteidiger seine Rolle nach vorn interpretiert hat. Ein Rot-Weißer kann klären und es folgt, was man seit dem Island-Hype in Frankreich als legitime offensive Variante kennt. Langer Einwurf auf den kurzen Pfosten (Malone zwar verletzt, aber Handke kann auch weit genug werfen) und dort setzt sich ein kopfballstarker Spieler (in diesem Fall Stoßstürmer Beck) durch und verarbeitet den Ball, beziehungsweise legt ihn zurück. Razeek gewinnt den folgenden Zweikampf knapp außerhalb des Sechszehners, gibt ab auf Brandt und der zieht einfach mal ab. Erik Domaschke hat im Erfurter Tor keine Chance auf Abwehr, da der Schuss unhaltbar abgefälscht wird.

Wenn ein Sechser am gegnerischen 16er presst …

Auch nach dem Führungstreffer in der achten Minute bleibt der FCM attackierend und ist zeitweise mit allen Feldspielern in der Erfurter Hälfte. Den Gastgebern fehlt die Konstanz in der Ballsicherheit und deswegen können sie nichts gegen das hohe Verteidigen der Magdeburger ausrichten. Erfurt unter enormem Druck als Razeek und Sowislo am gegnerischen Strafraum pressen. Domaschke kann nach dem Ballgewinn durch Razeek gerade so Becks zwölftes Saisontor verhindern, aber das auch nur für Sekunden. Bei der anschließenden Ecke findet Brandt den Kopf von Beck, der bei seinem Treffer aus Rücksicht auf seine Jungendtage in seiner Heimatstadt auf Jubelgesten verzichtet. Der Hüne im Magdeburger Sturm kommt von der Grundlinie, ist gut gedeckt und kommt gegen vier Gegenspieler an den Ball. Entschuldigende Handbewegung und die Frage, ob sich seine Verwandten auf der Tribüne mit dem Neffen freuen, oder ob Lokalpatriotismus überwiegt. Freuen darf sich ohne Frage und Zurückhaltung Trainer Jens Härtel. Sein Spielplan mit hartem, frühem Pressing bedeutet nach nur 13 Minuten eine 2:0-Führung.

Im weiteren Spielverlauf presst der FCM nicht mehr so stark, aber dennoch höher als in den vergangenen Spielen. Kurz nach der Mittellinie greifen die vier Offensiven zu, wobei Beck klar als Mittelstürmer agiert und Fuchs orientier sich deutlich ins Zentrum, anstatt (wie auf diversen Spielberichten) als zweite Spitze. Die Erfurter kommen vor allem durch einige Freistöße in Tornähe. Hier entsteht aber keine Gefahr, da die Abwehr des FCM den Luftraum gegenüber den Angreifern kontrolliert. m Schnitt erreicht die Offensivabteilung der Gastgeber keine 1,80 Meter (Aydin, Tyrala, Pigl und Szimayers Mittelwert ist 178,75m). Dagegen haben die vier FCM Spieler in der Kette mit einem Schnitt von 187,25 Meter Größe mit fast 10 Zentimeter Lufthoheit da. Kommen die Magdeburger in Ballbesitz zeigt sich das gleiche Bild wie zuvor. Drei Abwehrspieler bauen mit den Sechsern  das Spiel auf und Butzen zieht weit auf rechts nach vorne. Dadurch eröffnen sich interessante Konstellationen in der Magdeburger Abwehr. Während Butzen beispielsweise in der 30. Minute eine Flanke auf Beck schlägt, fängt sein Linksverteidiger-Kollege Hainault den anschießenden Abschlag von Torhüter Domaschke, 80 Meter weiter hinten, ab. Das ist auch das Fazit der ersten Hälfte, weil außer einem Fuchs-Schuss aus über 40 Metern und einer guten Doppelpass-Kombination von Pigl und Nikolau nichts im Strafraum passiert. Die Magdeburger stehen in allen Belangen besser und der Matchplan des frühen Pressings geht für die Gäste auf. Die Erfurter finden keine Ruhe im Spielaufbau und sind gegen das Anrennen der Blau-Weißen planlos.

Erfurter Spielverlagerung geht im Pressing unter

Personelle Veränderungen auf dem Feld gibt es nach dem Seitenwechsel nicht. Hinter dem Magdeburger Tor blinkt zwar ein bedrohlicher Wasserwerfer in den Vereinsfarben des FCM, aber der hat auf die taktische Ausrichtung beider Teams keinen Einfluss. Fuchs orientiert sich nach der Halbzeitansprache von Coach Härtel kurzzeitig in den Sturm, danach ist er wieder mehr im linken Mittelfeld oder im Zentrum zu finden – also eher 4-4-2 als noch in Halbzeit eins. Die erste Chance vergibt Kapitän Sowislo, der nach eingespieltem Wechselpass (Einwurf Chahed auf Beck, Beck auf Fuchs, Fuchs lang und tief zurück zum Einwerfer Chahed) keinen Zug hinter den Querpass von Chahed bekommt. Die Gastgeber versuchen es mit schnellerer und risikoreicherer Spielverlagerung als noch in den ersten 45 Minuten. Trainer Preußer rät zu mehr diagonalen Querpässen um das weiterhin vorhandene Magdeburger Pressing (bei Zeiten sogar direktes Gegenpressing) zu überwinden. Bevor das überhaupt mit Sinn und Verstand passieren kann, sind die Blau-Weißen meist schon so nah am Mann, dass außer Rückpass oder Ballverlust nichts Gefährliches passiert. Dennoch gibt Preußer nach den ersten 15 Minuten in der zweiten Hälfte noch nicht auf und wechselt nicht offensiver, sondern mit Höcher für Pigl Rechtsaußen positionsgetreu.

Gefahr über außen, aber FCM groß und sicher

Viel Veränderung bringt der Holländer nicht ins Spiel. Die Viererkette des FCM steht bei Angriffen weiter souverän und der einzige negative Aspekt im Magdeburger Spiel ist die fehlende Abschlussstärke bei den sich ergebenden Kontersituationen. Ungewohnt fahrig gibt sich insbesondere Razeek auf der rechten Seite, der eine klare Chance zum schnellen Seitenwechsel auf den mitgelaufenen Fuchs übersieht und damit die Chance auf den dritten Treffer der Magdeburger leichtfertig vergibt. 20 Minuten vor Ende des Spiels wird auch Erfurt mutiger und Preußer gibt neue Impulse von der Bank.  Ein Tor muss her und für Außenverteidiger Judt kommt der gelernte Mittelstürmer Tugay Uzan- damit verlassen die Thüringer die Grundordnung ihres Spiels. Sekunden später zieht auch Härtel seine erste Option und bringt Hebisch für Razeek, dem in der zweiten Halbzeit wenig gelingt. Der höhere Druck durch einen weiteren Angreifer ist sofort spürbar. Es nochmal gefährlich für die Gäste vor allem über rechts, wo sich die Erfurter mit einem Mann mehr in der Offensive Überzahl erspielen können. Eben ein diagonaler Pass führt kurz nach den Einwechslungen zu einer Direktabnahme im Strafraum, aber Glinker pariert gut.

50 Meter Gras weiter vorne übernimmt Hebisch erstmal die Rolle von Razeek auf den Außen. Dennoch geht das Spiel in das bekannte defensive Konterspiel des FCM über. Erfurt muss kommen und das Pressing, welches lange im zweiten Drittel aufgenommen wurde, verlagert sich jetzt nach hinten in die Abwehr. Weitere Gefahr für Glinker und seine Mannen bleibt aber aus, da sich Erfurt durch Abspielfehler und Unsicherheiten selber im Spielaufbau stört. Zehn Minuten vor Schluss erschöpft Härtel sein Wechselkontingent und bringt Altiparmak für Fuchs und Löhmannsröben für Beck. Altiparmak ordnet sich links ein und Löhmannsröben verschwindet wie so vieles in diesem Spiel im Magdeburger Zentrum. Höcher bewiest, dass seine Einwechslung sinnvoll war und kommt ein ums andere Mal Rechtsaußen zur Flanke, aber die vorher schon angesprochenen Größenvorteile der Magdeburger Hintermannschaft sind Schlüssel zum Erfolg an diesem Abend. Die Schlussoffensive wird also nicht belohnt und der 2:0-Erfolg der Magdeburger beendet den Auswärts- und „Last-Minute“-Fluch zum Ende des Jahres 2015.

Das Fazit: Der FCM schießt zwar das vierte Mal in Folge kein Tor in der zweiten Halbzeit, aber dieses Mal reicht es zum Sieg. Härtels Elf macht wieder im Zentrum seine Ballgewinne und spielt ungewohnt mit viel Ballbesitz in Durchgang eins. Der Spielaufbau der Erfurter wird zudem konsequent unter Druck gesetzt. Eine Einwurf-Variante und ein Ballgewinn am gegnerischen Sechzehner bringen zwei schnelle Tore. Butzen orientiert sich bei Ballbesitz weit nach vorne und schafft rechts Überzahl im Mittelfeld. Erfurt ist weite Strecken im Spiel mit dem Pressing überfordert und kann sich am Ende glücklich schätzen, dass es nur 0:2 endet.

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